Wenn Erwachsene dienen statt herrschen – was Kinder wirklich brauchen

Kinder brauchen Erwachsene. Nicht als Richter, nicht als Projektleiter. Sondern als Menschen, die ihnen dienen. Dienen heißt, Räume zu schaffen, Grenzen als Geländer zu setzen und Verantwortung zu übernehmen. Nicht jeder Wunsch, nicht jede Perfektion – sondern Balance und geteilte Last.
Ein Mädchen umarmt seinen Vater. Beide lachen.

Dieser Artikel erschien am 06.09.2025 in meinem Newsletter Der Begleiter.

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Read the English version of the article: When adults choose to serve, not to rule – what children truly need
 

 

Immer wieder begegnet mir dieselbe Frage:

Gebe ich Kindern zu viel Freiheit? Brauchen sie mehr Grenzen? Mehr Strenge oder mehr Nachsicht?

Mit den Jahren kam mir ein anderer Gedanke: Vielleicht geht es gar nicht um dieses Entweder-oder. Vielleicht brauchen Kinder etwas ganz anderes.

Erwachsene, die sich nicht als Herrschende verstehen, sondern als Dienende. Nicht im Sinne von Unterwerfung, sondern als Begleiter, die Räume öffnen und Entwicklung ermöglichen.

Inspiriert am Konzept «Servant Leadership» von Robert Greenleaf, der Führungskräfte als Dienende des Teams versteht, möchte ich heute einen weiterführenden Gedanken vorstellen. 

Als Impuls und als Einladung zur Diskussion und ausdrücklich mit der Aufforderung zum Widerspruch.

 

Kinder brauchen Erwachsene

Nicht als Richter. Nicht als Projektleiter. Sondern als Menschen, die ihnen dienen.

Dienen heißt, Räume zu schaffen.
Räume, in denen Kinder Fehler machen dürfen, ohne Angst vor Abwertung.
Räume, in denen Ausprobieren erlaubt ist.

Dienen heißt, Rahmen zu setzen.
Grenzen als Geländer, nicht als Mauer.
Orientierung, die Halt gibt, ohne zu fesseln.

Dienen heißt, Resonanz zu geben.
Zuhören. Spiegeln. Erfahrungen übersetzen.
Damit Kinder ihre Welt verstehen lernen.

Dienen heißt auch, Verantwortung zu übernehmen und zu führen.

Und zu guter Letzt: Dienen heißt, dass Erwachsene entscheiden, welche Welt Kinder sehen. Und ob sie diese Welt so sehr lieben, dass sie sie zumuten können (wie Arendt sagte: Erziehung ist der Punkt, an dem wir entscheiden, ob wir die Welt genug lieben, um sie den Kindern anzuvertrauen).

 

Mein 2+2 ist 5–1-Gedanke

George Orwell hat in „1984“ die berühmte Gleichung 2+2=5 geprägt, um Macht über Wahrheit zu zeigen. Schon zuvor nutzte der Aufklärer Emmanuel Joseph Sieyès dieses Bild, um Ungleichheit in der französischen Politik anzuprangern.
Die Frage dahinter lautet: Wer bestimmt, was gilt? Wer verteilt Macht und Lasten?

Und auch im Alltag geht nicht jede Rechnung auf. Manchmal ist 2+2 nicht 4, sondern 5–1.

Das bedeutet: Es darf Ungleichgewicht geben.
Aber das Minus darf nicht immer bei derselben Person landen. Nicht immer beim Kind. Nicht immer bei der Mutter oder dem Vater. Nicht immer auf denselben Schultern.
Mal trägt einer mehr, mal der andere.
Mal verzichtet einer, mal der andere. So bleibt das Ganze in Bewegung.

Ein dienender Erwachsener weiß: Perfektion ist nicht das Ziel. Sondern Ausgleich. Balance.
Das Teilen der Last.

Bedürfnisorientiert im Familiensystem

Dienen bedeutet nicht, nur das Kind in den Mittelpunkt zu stellen. Ein Familiensystem lebt davon, dass alle gesehen werden.

Kinder, Eltern, Geschwister.
Bedürfnisorientiert heißt deshalb: nicht, dass immer das lauteste oder stärkste Bedürfnis entscheidet, sondern dass die Bedürfnisse verteilt und ausgeglichen werden.

Ein Kind darf sagen, was es braucht. Eine Mutter darf Erholung brauchen. Ein Vater darf Grenzen setzen.
Entscheidend ist, dass die Lasten nicht starr verteilt bleiben, sondern im Wechsel getragen werden.
So entsteht Balance im System und echte Beziehung.

Wo liegen die Spannungen?

Dienen heißt nicht, jedem Wunsch nachzugeben.
Dienen heißt nicht, sich selbst aufzugeben.
Dienen heißt nicht, auf Schutz und Grenzen zu verzichten.
Dienen heißt auch führen.

Nein sagen, wenn das Ja schwächt.

Entscheidungen treffen, die unbequem sind, aber notwendig. Macht so einsetzen, dass sie stärkt und nicht zerstört.

Das Ziel

Es geht nicht um brave Kinder, die gehorsam wirken.
Es geht nicht um Kinder, die ständig glücklich sind.
Es geht um Erwachsene, die Kinder begleiten, bis sie frei handeln können. Kompetent. Verantwortlich. Für sich, für andere, für die Welt.

Reflexion für dich

Nimm dir einen Moment
Zeit und frag dich:
Wann dienst du deinem Kind wirklich?
Wann eher deinen oder gesellschaftlichen Erwartungen oder deiner eigenen Ruhe?
Und wer trägt bei euch am häufigsten das „-1“?

Was ich von dir wissen möchte:
Brauchen Kinder heute mehr dienende Erwachsene oder ist genau das die falsche Richtung?

Abschluss

Danke, dass du dir Zeit genommen hast, mitzudenken.
 
Wenn dich dieser Gedanke inspiriert, leite den Newsletter gerne weiter.

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Julian

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Julian Lehnhardt

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Der Begleiter

Magazin für Systemische Wegbegleitung

Children don’t learn self-love from books. They learn it from us. A thought to reflect on – and a practical exercise for families – in the new edition of my newsletter “Der Begleiter.”
Kinder lernen Selbstliebe nicht aus Büchern. Sie lernen sie von uns. Ein Gedankenanstoß dazu und eine praktische Übung für Familien in der neuen Ausgabe von meinem Newsletter "Der Begleiter".
Children need adults. Not as judges, not as project managers. But as people who serve them. To serve means creating spaces, setting boundaries as railings rather than walls, and taking responsibility. Not every wish, not perfection – but balance and a shared burden.