Hallo,
Der heutige Text ist etwas länger und vielleicht mit etwas mehr Schnickschnack als sonst.
Es geht um ein für mich sehr wichtiges Thema: um Resonanz und darum, wie Sprache Beziehung schafft.
Ich kenne da dieses eine Kind.
Man sagt, es rede nicht über seine Gefühle, und die Eltern waren schon bei mehreren Fachstellen, weil sie sich langsam Sorgen machen. Aber wenn wir sprechen, dann reden wir. Über Raketen, Sport, Hunde, Lego und Pizza. Während wir laufen, er springt, ich sitze, er baut, ich Kaffee trinke, Musik läuft, ein Fidget Toy durchs Zimmer fliegt und ich vom Balance-Board falle.
Wir lachen. Und irgendwo, zwischendrin, wird das Gespräch ernst.
Wir reden über Stolz, über Wut und über Angst. Wir reden über das, was uns beschäftigt, und irgendwann über unsere liebste Gummibärchenfarbe. Kein Thema bleibt länger als einen Moment, und doch ist alles echt.
Es ist kein klassisches Coaching, sicherlich keine Beratung, einfach ein Gespräch. Er spricht, wenn etwas Bedeutung hat, und schweigt, wenn nicht. Ich weiß: Alles, was er sagt, ist seine Wahrheit.
Er erzählt nicht von seinem Tag, sondern von dem, was ihn bewegt.
Unser Gespräch folgt keinem Plan, und genau das ist entscheidend. Denn Sprache ist nicht immer geordnet, sie folgt manchmal Bedeutung, manchmal Energie, manchmal einfach einem Gefühl, das gerade Raum braucht.
Manche Gespräche folgen festen Mustern
Sie geben Sicherheit, schaffen Orientierung und lassen uns wissen, wann wir lachen, nicken oder eine Frage stellen sollen. Für viele Menschen ist diese Art zu sprechen wohltuend, weil sie Struktur bietet. Andere empfinden sie als anstrengend, weil sie sich in dieser Ordnung nicht wirklich wiederfinden.
Wenn ich mich solchen Mustern anpasse, kostet es Energie. Man nennt das Masking, also das bewusste oder unbewusste Anpassen an soziale Erwartungen, auch wenn sie nicht zur eigenen Ausdrucksweise passen. Masking kann kurzfristig schützen, weil es Zugehörigkeit ermöglicht, doch langfristig wird es zur Belastung, da es ständige Selbstüberwachung verlangt. Es ist kein Versagen, sondern eine Überlebensstrategie in einer Welt, die Kommunikation oft auf wenige Bahnen begrenzt.
Andere Gespräche verlaufen ganz anders. Sie entstehen aus dem Moment heraus, sind improvisiert, lebendig und manchmal chaotisch, aber voller Bedeutung. Gerade neurodivergente Menschen fühlen sich oft in solchen Gesprächen zu Hause, weil sie weniger auf Form, sondern auf Resonanz reagieren. Diese Gespräche folgen keiner strikten Reihenfolge, sondern dem, was gerade wichtig ist und das kann von einem Gedanken zum nächsten springen, ohne dabei den Sinn zu verlieren.
Ich habe lange geglaubt, meine Art zu sprechen sei zu ehrlich, zu tief, zu direkt. Bis ich verstanden habe, dass es keine Schwäche ist, wenn Sprache nicht linear verläuft. Ich bin nicht zu viel, ich bin resonant.
Manche Gespräche fühlen sich für mich an wie Taktfehler. Alles läuft korrekt und höflich, aber innerlich bleibe ich stumm. Ich beginne zu träumen, abzudriften, mich zu verlieren. Andere dagegen sind wie ein Feuer. Sie sind wild, echt und unvorhersehbar, sie springen zwischen Themen, lassen Raum für Stille, schaffen Nähe und ergeben trotzdem Sinn.
Gespräche, die mich wirklich berühren, leben von Gegenseitigkeit.Wenn jemand nur Fragen stellt, ohne selbst etwas von sich zu zeigen, spüre ich, wie die Energie versiegt.Dann ziehe ich mich zurück, nicht weil mich das Gegenüber nicht interessiert, sondern weil Austausch für mich nur dann lebendig bleibt, wenn beide in Bewegung sind.
Man kann also sagen, dass Menschen unterschiedlich Nähe aufbauen. Manche beginnen mit Smalltalk, weil sie Sicherheit brauchen, bevor sie Tiefe zulassen. Andere suchen von Beginn an das Echte, das Direkte, das Ungefilterte, und daraus wächst Vertrauen.
Beides funktioniert. Wichtig ist nur, dass wir erkennen, dass Sprache auf unterschiedliche Weise Sicherheit schafft.
Resonanz ist kein Konzept, das man lernen kann. Sie ist ein Zustand, der entsteht, wenn Kommunikation Energie gibt statt kostet. Dann wird sie kohärent, verbunden, rund. Man könnte auch sagen: Sie stimmt.
Neurobiologisch lässt sich das so verstehen, dass sich zwei Nervensysteme gegenseitig beruhigen, wenn sie in wahrnehmender Sicherheit miteinander in Kontakt sind. Es geht dann nicht mehr um Kontrolle oder Maskierung, sondern um Beziehung.
Und genau das ist der Moment, in dem sich viele neurodivergente Menschen – aber auch andere – endlich zu Hause fühlen. Ich erlebe das oft in der Arbeit mit Kindern. Sie reden, wie sie fühlen. Und wenn du nicht reagierst, sondern mitschwingst, wird Sprache Beziehung.
Das Kind erzählt keine Geschichte, es zeigt dir seine Welt.
Und in diesem Moment hast du die Wahl:
Willst du verstehen oder nur antworten?
Verständnis braucht keine Methode
Es braucht Wahrnehmung und den Mut, den eigenen Takt kurz loszulassen. Es braucht Neugierde und Lernfähigkeit.
Ich erinnere mich an eine Mutter, deren Sohn beim Sprechen ständig abschweifte. Sie sagte: „Er hört mir doch gar nicht zu.“ ich fragte sie: „Oder redet er vielleicht einfach anders als du es gewohnt bist?“
Wir beobachteten ihn gemeinsam. Er hörte zu, nur eben nicht linear. Er griff Themen wieder auf, verband Gefühl mit Logik. Das war keine Unaufmerksamkeit, sondern Assoziation. Ich erklärte ihr: “Er hört in Bildern, du sprichst in Sätzen. Er versteht dich.“
Das war der Wendepunkt. Nicht, weil sie ihn trainierte, sondern weil sie ihn verstand. Seitdem sage ich: Sprache ist keine Technik, sie ist Beziehung. Man kann nicht immer richtig sprechen, aber man kann immer echt sein. Und genau das verändert alles.
Wenn ein Kind spürt, dass du mitschwingst, braucht es keine perfekte Formulierung. Dann reicht ein Blick, ein Lächeln, ein Wort. In solchen Momenten wird Kommunikation Resonanz. Wenn das Glas leer ist, redest du. Wenn das Glas voll ist, hörst du. Und manchmal, wenn beide schweigen, entsteht das, was Worte nie schaffen: Verständnis ohne Sprache.
Für Eltern, Fachpersonen und Begleiter
Kinder lernen nicht, weil wir ihnen etwas erklären, sondern weil sie sich gesehen fühlen. Resonanz ist keine Methode, sie ist die Grundlage. Bevor Sprache verstanden wird, wird Zugehörigkeit gespürt, und bevor Lernen gelingt, braucht es Beziehung. Erst wenn Kinder sich innerlich sicher fühlen, können sie sich öffnen, fragen, denken und wachsen. Wenn sie sich nicht sicher fühlen, schalten sie ab. Aber nicht aus Trotz, sondern aus Schutz.
Darum beginnt jede Begleitung mit Beziehung. Ob im Unterricht, im Coaching oder zuhause, sie entsteht dort, wo wir mitschwingen, statt zu bewerten. Wenn du wissen willst, was ein Kind braucht, hör nicht nur auf Worte. Hör auf den Klang, auf die Pausen und auf das, was dazwischen liegt. Dort beginnt Resonanz. Und dort beginnt Sprache als Beziehung.
Impuls für dich
Nimm dir einen Moment, um wirklich zuzuhören.
Nicht nur auf das, was ein Kind sagt, sondern auf das, wie es sich zeigt – in Gesten, in Pausen, in seiner Stimmung. Versuche, mitzuschwingen, ohne zu bewerten. Beobachte, ob sich die Verbindung verändert und wie sich Worte anders anfühlen, wenn sie Beziehung werden.
Manchmal genügt das.
Ein kleiner Moment und plötzlich entsteht Nähe, nicht weil du sprichst, sondern weil du hörst.
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